Lebenslauf eines Optimisten by Ganghofer Ludwig

Lebenslauf eines Optimisten by Ganghofer Ludwig

Autor:Ganghofer, Ludwig
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00


IX.

Nun kam eine tolle, verrückte Zeit. Die Zerknirschung darüber, daß ich ein verlorener Mensch wäre, beschwichtigte sich schon nach wenigen Tagen. Doch es blieb in mir die mit Zorn gemischte Trauer, daß für mich ein Widerliches geworden war, was ein Schönes hätte sein können. Eine ganze Woche brauchte ich, bis ich den Mut fand, der Mutter vor die Augen zu treten. Sie sah mir meine Verstörtheit an, befürchtete aber nur, daß ich wieder in Schulden geraten wäre. Von dieser Sorge konnt' ich sie durch die Versicherung erlösen, daß ich mit keinem Groschen in der Kreide stünde. Da wurde die Mutter wieder ruhig und heiter. Doch gerade dieser herzliche Blick und dieses frohe Lachen machten mich zittern bis ins innerste Leben und trieben mich aus dem Hause. Es litt mich nimmer daheim. Soldatendienst und Fasching kamen mir zu Hilfe. Kaserne und Fechtboden hielten mich am Tage fest, und Abend für Abend rannte ich zu einem Balle, zur Korpskneipe, zu einem Tanzkränzchen, zu einer Maskerade oder zu irgend einem ›Kuhschwoof‹ in der Vorstadt. Nun war es aus und gar mit meiner Schüchternheit. Was sich an Genuß erhaschen ließ, das nahm ich. Liebe war nie in meinem Herzen, nur immer das Verlangen in meinem Blut, und wenn sich der kurze blinde Rausch der Sinne im Grau des Morgens ernüchterte, war auch immer wieder der Widerwille da, den ich meiner Natur nicht abgewöhnen konnte. In jeden Apfel, den ich pflückte, tat ich immer nur einen Biß; dann schob ich ihn wieder fort. Ich konnte nicht finden, was ich mir als »das Schöne« vorstellte. Und die guten gefälligen Dingerchen nahmen mir die flinken Erledigungen niemals übel, begriffen, daß ich so war und daß ich nicht anders sein konnte, weinten ein bißchen, seufzten schwer und blieben mir nach dem raschen Ende noch wunderlich gewogen.

Damals dauerte der Fasching, wenn ich mich recht erinnere, nur siebenundzwanzig Tage. Und die ersten acht Tage abgerechnet, hab' ich während dieser drei Wochen keine Nacht in meiner eigenen Stube verbracht. Geschlafen hab' ich – ich weiß nicht, wann und wo. Zwischen vier und fünf Uhr morgens kam ich für ein paar Minuten heim, zog mich für die Festung um und rannte wieder davon, ehe der Tag zu erwachen begann. Vom Faschingssonntag bis zum Aschermittwoch gewöhnte ich mir das Schlafen völlig ab. Und dennoch sah ich immer aus wie das blühende Leben, war immer anzuschauen, als wär' ich gerade mit brennenden Wangen und hellen Augen von einem festen, erquickenden Schlummer aufgestanden.

Meine Gesundheit hatte nicht gelitten; sie war wie ein Brunnen, der sich nicht ausschöpfen ließ. Doch meine Finanzen waren nach diesen drei tollen Wochen in einer grauenhaften Verfassung. Bei Kameraden, Wirten und Geschäftsleuten stand ich so schwer im Schuldbuche, daß ein weiteres Borgen zur absoluten Unmöglichkeit wurde. An einem fürchterlichen Morgen addierte ich: zweiundsiebzig Gulden! Für mich eine unerschwingliche Summe. Aber bezahlt mußte sie werden! Mich ein zweites Mal der Mutter anvertrauen? Lieber die Zunge entzweibeißen! Und so trat in mein junges Dasein die für mich höchst originelle Gestalt des Wucherers herein. Ein



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